Der Ankereffekt als essentiellsten Mittel der Medien
Um ein psychologisches Experiment zu machen, wurden einigen Besuchern des Exploratoriums, eines Museums in San Francisco, folgende beiden Fragen gestellt: 1) Beträgt die Höhe des größten Küstenmammutbaums mehr oder weniger als 366 Meter? 2) Wie hoch ist Ihrer Meinung nach der größte Küstenmammutbaum? Anderen Testpersonen wurde statt 366 Meter nur 55 Meter genannt. Der durchschnittliche Schätzwert der zweiten Frage betrug in der ersten Gruppe 257 Meter, während er in der anderen Gruppe 86 Meter betrug.
Dass die beiden Gruppen so unterschiedliche Zahlen geschätzt hatten, lag an einem bekannten psychologischen Phänomen namens Ankereffekt. Dadurch, dass vorher eine Zahl genannt wurde – also 366 bzw. 55 – hatten die Testpersonen einen Anker an denen sie sich orientieren konnten und von denen sie sich unweigerlich beeinflussen ließen. Auch wenn es absolut keine Indizien dafür gab, dass die Antwort auf die zweite Frage irgendetwas mit der Zahl zu tun hat. Daniel Kahnemann schreibt in seinem Buch "Schnelles Denken, langsames Denken":
Wenn man Sie fragt, ob Gandhi über 114 Jahre alt war, als er starb, werden Sie sein Alter bei seinem Tod viel höher schätzen, als Sie es tun würden, wenn die Ankerfrage auf einen Tod mit 35 Jahren verweisen würde. Wenn Sie überlegen, wie viel Sie für ein Haus bezahlen sollten, werden Sie von der ursprünglichen Preisforderung beeinflusst. Dasselbe Haus wird Ihnen wertvoller erscheinen, wenn sein Listenpreis höher ist, als wenn er niedrig ist, selbst wenn Sie entschlossen sind, sich nicht von dieser Zahl beeinflussen zu lassen; und so weiter – die Liste der Ankereffekte ist endlos. Jede Zahl, die Ihnen als mögliche Lösung für ein Schätzungsproblem präsentiert wird, erzeugt einen Ankereffekt.
Doch nicht nur Zahlen dienen als Anker, die das Denken beeinflussen, sondern auch das Verhalten und die Ansichten der Mitmenschen haben einen ähnlichen Effekt auf einen. Beispielhaft dafür sei hier das Konformitätsexperiment von Asch zu nennen:
Ob bewusst oder unbewusst, dieser Effekt wird ganz stark von Politik und Medien ausgenutzt. Wenn man z.B. seinen politischen Gegner diskreditieren will, macht man ihn schlechter als er wirklich ist, denn obwohl die meisten das nicht glauben werden, ist der Ankerpunkt so weit nach außen gesetzt, dass Leute schlechter über den Gegner denken werden, als wenn man einfach bei den Fakten geblieben wäre. Ganz stark wird es von Verschwörungstheoretikern eingesetzt, die Menschen an der Macht u.a. als bösartige Reptiloiden oder okkulte Teufelsanbeter darstellen. Die meisten werden das natürlich nicht abkaufen, aber das ist auch gar nicht der Zweck; der Zweck ist, dass man unweigerlich von dieser Darstellung beeinflusst wird, ob man es will oder nicht.
Und je mehr man eine Sache wiederholt, desto stärker wirkt der Anker. Allein die Tatsache der Wiederholung schafft die Illusion von Relevanz, sodass Medien gerne extra lang über ein Thema berichten oder überdurchschnittlich viele Artikel dazu schreiben, wenn sie es besonders hervorheben wollen. Die Leser werden dann das Gefühl haben, dass es ein wichtiges Thema sein muss, obwohl es in Wirklichkeit nur aufgebauscht wurde.
So können große Medienhäuser, die sehr viele Leute erreichen, sich ein Thema aussuchen und sich vornehmen das besonders wichtig darzustellen. All die Leute, die das verfolgen, werden unweigerlich so sehr davon beeinflusst werden, dass sich ihr Bild der Realität dementsprechend ändern wird und sie überzeugt davon sein werden, dass es tatsächlich ein überdurchschnittlich wichtiges Thema ist. Als Folge des manipulierten Gesamtinteresses werden die Stimmen der Bevölkerung in Richtung Politik lauter, sodass Politiker im Zugzwang stehen werden etwas zu tun. Demzufolge treten neue Gesetze oder Bestimmungen in Kraft, die ohne die Berichterstattung niemals passiert wären.
Nehmen wir die rein hypothetische Situation, dass sich die Medien eines Tages dazu entschließen würden, eine ganz normale Krankheit jenseits von Gut und Böse aufzublasen, zum Großteil mit gefälschten Zahlen und Pseudowissenschaft. Das würde so eine Angst in der Bevölkerung auslösen – denn nicht vergessen: Ankereffekt, selbst wenn nur ein Bruchteil davon wahr ist, ist es schon schlimm genug – dass die Politik es nicht übersehen würde und irgendetwas tun müsste. Sie müsste entsprechende Maßnahmen durchführen, die die Medien zufriedenstellt. Denn wenn nicht, würden sie einfach weiter machen und die Menschen als ihre blinden Soldaten nutzen, bis sich die Politik schlussendlich fügt. Die Medien würden das alles aber mit bestem Gewissen machen, denn sie würden sich auf externe wissenschaftliche Quellen berufen, namentlich irgendwelche Drei-Buchstaben-Institute und -Organisationen. Diese Institute könnten dann unter Umständen aber getarnte politische oder industrielle Organisationen sein und Profit oder das Ausführen einer Agenda mehr im Sinn haben als Wissenschaft und sie könnten die gutgläubigen Medien einfach als Katalysator nutzen. So könnte der Ankereffekt genutzt werden, um die Welt zu seinen Gunsten zu verändern. Hoffen wir mal, dass es niemand macht, oder...?