Sogenannte Nerds
Wenn man etwas in die Vergangenheit guckt, dann waren Nerds Leute, die sich in der Tiefe mit speziellen Interessen befasst haben und infolgedessen Dinge produzieren konnten, zu denen andere Menschen nicht in der Lage waren. Nerd sein hat bedeutet, kreativ und produktiv zu sein. Das typische Bild eines Nerds, das lange Zeit durch die Medien geprägt wurde, hat ihren Ursprung bei einer Gruppe von Computerenthusiasten um die 70er und 80er Jahre, auf die genau diese Beschreibung zutrifft.
Heutezutage wird der Begriff deutlich liberaler eingesetzt. "Nerd" heißt nur noch, dass jemand die Entwicklung einer Sache verfolgt. Man kann Technik-Nerd sein, man kann Fashion-Nerd sein, man kann Film-Nerd sein – egal um was für ein Interesse es dabei geht, solange man sie verfolgt und sich damit auskennt, ist man ein Nerd. Es hat im Vergleich zu der vorherigen Bedeutung des Begriffes eine Verschiebung von "Produzent" zu "Konsument" gegeben.
So gibt es eine ganze Armee von Leuten, die man in Kommentarbereichen zu Reviews eines neuen Smartphones findet, die sich bestens mit den Spezifikationen und den Entwicklungen zum vorherigen Modellen auskennen, die aber nicht mal die simpelste "Hallo Welt"-App dafür schreiben könnten. Die ihr Interesse nur als Medium des Konsums ansehen und sich sogar mit bestimmten Marken und Modellen identifizieren, sodass sie sie in ewig langen Diskussionen verteidigen.
War man vorher ein Film-Nerd, hat es vielleicht bedeutet, dass man sich mit dem Filmemachen auskennt und selber schon mindestens Kurzfilme oder zumindest unterhaltsame Videos gedreht hat. Dass man Filme anderer Leute und von offiziellen Studios dazu genutzt hat, von ihnen zu lernen. Heutzutage heißt es ausschließlich, dass man möglichst viele Filme anschaut, die andere Leute gedreht haben und sich dabei zu merken, welcher Schauspieler wo mitgespielt und welcher Regisseur wo mitgewirkt hat.
Dass sich der Begriff Nerd gewandelt hat und nun nur noch ein Synonym für Konsument ist, ist natürlich nicht die Ursache irgendeines Problems, sondern es ist das Symptom des allgemeinen gesellschaftlichen Wandels hin zur Zentralisierung durch Abstraktion. So gut wie alle Interessen- und Wissensbereiche haben heutzutage eine deutlich größere Einstiegshürde als damals. Alles ist so abstrahiert, dass eine ernsthafte Mitwirkung in dem Bereich sehr viel Zeitinvestition bedeutet. Zeit, die die meisten nicht haben. Ob es Schrauben am eigenen Auto ist, das bei modernen Autos deutlich erschwert wird oder die Tatsache, dass Menschen früher in vielen Wissenschaftsbereichen in ihrem Leben arbeiten konnten, während sie sich heutzutage auf den Spezialgebiet eines Spezialgebiets fokussieren. Das ganze System ist darum designed, dass jeder Bereich nur in den Händen weniger Player liegt, während der Rest nur konsumieren muss.